Kann die Stadt dem Boom der Chipindustrie standhalten?

Hightech-Ansiedlung in Milliardenhöhe, „Silicon Saxony“ boomt – und die Stadt schaut zu: Wer dem Ruf des Presseclub-Vorstands am Montag nach Klotzsche folgte, spürte schon bei der Anfahrt die Expansionslust Infineons. Auf über 40.000 Quadratmeter Reinraumfläche produzieren und entwickeln schon heute rund 3.250 Fachkräfte die Innovationstreiber der Zukunft: Chips.

Glaubt man Infineons Kommunikationschef Christoph Schumacher, sind sie der Schlüssel zur Lösung der Klimakrise, gefertigt an Europas bedeutendstem Ort dafür. Grund genug für den Hightech-Giganten aus München, den ehemaligen Siemensstandort im Dresdner Norden zu erweitern – für fünf Milliarden Euro zugunsten eines gänzlich neuen Werks, das über 1.000 neue Halbleitermechatroniker in Betrieb nehmen sollen.

Nach einem spannenden Einblick Schumachers in Firma und Vorhaben ließ doch der zweite Abendgast am tiefsten blicken: Frank Bösenberg, Chef des Hightech-Netzwerks „Silicon Saxony“, ließ den ein oder die andere ins Grübeln kommen: Weiß die Stadt, was auf sie zukommt?

„Was die Dresdner nicht begreifen: das wird nicht die letzte Milliarde gewesen sein“, sagt Bösenberg, meint Infineons Eigeninvestition und schielt auf den neuesten Großinvestor: TSMC ist schon heute der größte Chip-Produzent der Welt – und investiert entsprechend doppelt so viel in seine ganz eigene Niederlassung im Silicon Saxony. Wie die SZ berichtete, muss Dresden deshalb nun bis zu 50 Millionen Euro in die Hand nehmen. Es sei nicht genug Wasser da. Schumacher zufolge wird das vor allem zum Waschen gebraucht – damit etwa die Quote von maximal einem Fehler auf 10 Millionen Einheiten gehalten werden kann.

Doch alle Bänder stehen still, wenn kein Arm sie pflegen will. Und danach sieht es aus: Trotz der Einmaligkeit des Dresdner Ökosystems eilt der Stadt und dem Freistaat ein Ruf voraus – Pegida 2014, Chemnitz 2018, laut neuesten Umfragen würde die AfD stärkste Kraft. Und selbst wenn etwa eine gänzlich neu wachsende TSMC-Community mit halboffenen Armen empfangen würde – wo sollten sie wohnen, ihre Kinder zur Schule bringen? Stimmt Bösenbergs Schätzung, dann braucht es nicht ein-, nicht zehntausend neue Lebensgrundlagen – die gesamte Region müsste sich in sieben Jahren auf 50.000 Fachkräfte einstellen.

Für diese massive Ansiedlung gibt es dem Experten zufolge genau fünf Gründe: Während die EU „nur“ 13 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung lockert, pumpt Deutschland 30 Milliarden Steuer-Euro in seinen plötzlich auch strategisch wichtigen Industriezweig. „Niemand in der Branche baut, ohne dass sie Geld dazu bekommen“, sagt der Experte.

Außerdem biete Sachsen mit den TUs Dresden, Chemnitz und Freiberg eine sehr gute Ausbildungslandschaft. Aber vor allem die elf Fraunhofer Institute verleihen der hiesigen Struktur Einzigartigkeit.

Punkt 3: (Fast) Alle Zulieferer sind schon da. 40.000 Menschen seien schon heute mittelbar mit den 800 kleinen Schritten betraut, die es braucht, um einen Chip zu bauen.
Und, dass die Konkurrenz bereits vor Ort ist, zwinkert Bösenberg Schumacher zu, bedeute eine tolle Möglichkeit Fachkräfte abzuwerben. Das alles spricht dafür, dass die Dresdner Behörden – anders als Magdeburg – mit der komplexen Ansiedlungsthematik umzugehen wissen. Obwohl Bösenberg der Meinung ist, „Raketenwissenschaft ist einfacher als das.“

Mag sein, dass die Behörden das Ansiedeln topverwalten – der Weitblick fehle ihnen wie so oft. Denn „Silicon Saxony“ hat den Anspruch, nicht weniger als die wichtigste Rolle in der europäischen Chipindustrie zu spielen. Letztere will sich bis 2030 auf ein Investitionsvolumen von einer Trillion Euro verdoppelt haben. Soll Dresden dabei die Hauptrolle übernehmen, müsste sich „Silicon Saxony“ in seiner aktuellen Verfassung vervierfachen – und infolge der in Rente gehenden Babyboomer-Generation Platz für 50.000 Arbeiterfamilien schaffen. Doch selbst wenn Wohnungen vorhanden und Schulplätze verfügbar wären: Langsam, aber sicher wird es eng im Elbtal. Intel entschied sich etwa aus Platzmangel die Elbe hinab nach Magdeburg.

Spätestens an diesem Punkt waren auch den anwesenden Clubmitgliedern am Montag die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. „Wir als ,Silicon Saxony‘ können nicht das ganz große Rad drehen“, sagt Bösenberg. „Das Schneckentempo dabei geht uns gegen den Strich. Das ist in Dresden aber nicht der Fall.“

Der Netzwerkchef vereint 76.100 Leute branchenweit, 100.000 sollen es werden. Bei dieser Mammutaufgabe braucht es die breite Masse. Für das ein oder andere Clubmitglied vielleicht Impuls genug, den gesamtgesellschaftlichen Umfang dieser „Mammutaufgabe“ in der Redaktion fallen zu lassen.

Text von Erik Töpfer, Fotos von Infineon Dresden und Stefan Scharf