Wie ticken die Russen?

v.l.n.r.: Juri Streller, Frank Müller-Eberstein, Uwe Beck

Die Clubmitglieder wollten eigentlich mit dem Schulleiter Uwe Beck über seinen Einsatz an der deutschen Schule in Moskau sprechen. Doch das Thema bekam mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wenige Tage vor dem Clubabend, der nach langer Pause wieder im Hotel Hyperion stattfinden konnte, eine besondere Brisanz. So berichteten nicht nur Uwe Beck und Juri Streller, der in den 1970er Jahren Schüler der deutschen Schule in Moskau war, sondern auch Moderator Frank Müller-Eberstein über ihre Erfahrungen in Russland. Übereinstimmend sprechen sie von der Widersprüchlichkeit in der Gesellschaft, einerseits von der Herzlichkeit der Menschen, andererseits den Repressalien des Macht- und Militärapparats.

Uwe Beck, der gern zu Fuß durch Moskau ging und dabei den Kontakt zu den Einheimischen gefunden hat, sagt: „Ich habe in den sechs Jahren kein einziges negatives Erlebnis mit der russischen Bevölkerung erlebt.“ Er sei in Gaststätten und bei Spaziergängen schnell und freundlich ins Gespräch gekommen, habe zu seinen Mitarbeitern in der Schule ein gutes Verhältnis gepflegt und sei sogar zufällig in eine fremde Hochzeitsgesellschaft geraten und herzlich willkommen geheißen worden.

Juri Streller erzählt, dass viele seiner Kontaktpersonen nach dem Überfall auf die Ukraine keine oder falsche Informationen hatten. Es zeichnen sich deutliche Unterschiede zwischen den Generationen ab. Während die älteren Russen eher den Aussagen der Regierung Glauben schenken, informieren sich jüngere Russen übers Internet und seien deutlich kremlkritischer. Sie setzen auf das Prinzip der Nadelstiche und verabreden sich beispielsweise zum Flashmob. Dabei werden u.a. Jacken kurz geöffnet und Protestlosungen sichtbar, kommt die Polizei, sind die jungen Leute meist schon wieder weg. Alle drei Gesprächspartner setzten ihre Hoffnungen auf die junge Generation.  

Uwe Beck übernahm 2015 die Leitung der Schule in Moskau. Im August 2021 kehrte er nach Dresden zurück und arbeitet seither als Leiter des Hans-Erlwein-Gymnasiums. In jenen Jahren habe sich viel in Russland verändert. Im Juni 2016 hatte Wladimir Putin die deutsche Schule besucht, es ging hierbei um das Erinnerungsprojekt „Erinnern, Gedenken, Versöhnen“, welches sich mit der Unterstützung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge um die Aufarbeitung des zweiten Weltkrieges seit 2014 bemüht, welches an der Schule organisiert und mit deutschen und russischen Schülerinnen und Schülern durchgeführt wird. „Seine Worte damals stehen konträr zu seinem heutigen Handeln“, so Beck. Auffällig sei zudem die Militarisierung in den zurückliegenden Jahren. Kadettenschulen seien aus dem Boden geschossen. Auch die jährliche große Parade auf dem Roten Platz und das große Militärmusikfestival sei immer militärischer geworden. Schon die Kinder würden mit russischer Militärtechnik vertraut gemacht.

Andererseits seien die russischen Gesprächspartner lange Zeit über den Charakter des Überfalls auf die Ukraine im Unklaren geblieben. Selbst die Soldaten glaubten, in ein Manöver zu ziehen. Familien wissen nicht, wo ihre Söhne sind. Perfide, um in der Heimat keine Bilder von Särgen mit toten Soldaten zu sehen, setze die russische Armee mobile Krematorien ein.

Aufgeschreckt habe Beck eine Meldung vom Frühjahr 2020: Die ca. 156.000 Kameras in Moskau, die zur Verkehrsüberwachung eingesetzt werden, wurden auf Gesichtserkennung geschaltet. So eine große Anzahl von Überwachungskameras hatte er nicht erwartet. Die Metro werde mit einer Karte genutzt, dadurch wird jeder Nutzer automatisch registriert.  Handyüberwachung mittels GPS sichere zudem Bewegungsprofile. Selbst kleinste Proteste im Land werden unterdrückt und hart bestraft.  

Die Deutsche Schule Moskau unterstützt seit vielen Jahren Projekte im Land wie ein Kinderhospiz und einen Verein zur Unterstützung von behinderten Menschen. Diese seien in der Regel im Straßenbild nicht zu sehen, man verstecke sie. Andererseits ist es auch unmöglich, die Metro beispielsweise mit einem Rollstuhl zu benutzen.   

Deutschland unterhält, so Uwe Beck, 143 Auslandsschulen. Die Moskauer Schule mit Schülern aus 17 Nationen, gehöre zu den Besten. Sie wird von einem ehrenamtlichen Verein getragen, hat einen Jahresumsatz von ca. 7,5 Millionen Euro und suche ihr Personal weltweit. Etwa 8.000 Euro zahlen die Eltern pro Jahr an Schulgeld. Das sei für die meisten Familien viel in einem Land, in dem die monatliche Rente zwischen 60 und 120 Euro betrage. So tun viele Familien alles, um ihren Kindern gute Bedingungen zu sichern.

 Sanktionen und Embargopolitik wiederum haben dazu geführt, dass Russland sich auf die eigenen Stärken besonnen hat. Weltweit kaufte es Technik und bauten beispielsweise eigene Molkereien auf, deren Käseprodukte heute den Vergleich mit denen aus der Schweiz nicht scheuen müssen. Die Landwirtschaft hat sich entwickelt. Brauereien entstanden mit deutschem Know-how. Volkswagen, Mercedes und andere deutsche Firmen errichteten Betriebe.

Was Putin wirklich bewegt, kann keiner sagen. Will er als starker Mann in die Geschichtsbücher? Sicher sei aber schon jetzt: Der Schaden, den er angerichtet hat, wird Russland und die Welt über Jahrzehnte belasten.

Text: Bettina Klemm
Fotos: Maria Grahl