Das Superwahljahr 2024 nimmt Gestalt an: Unterm Titel „Zerfaserter Stadtrat – ein Abbild der Stadtgesellschaft?“ lud der Presseclub Dresden am vergangenen Montag zur Podiumsdiskussion – und hätte jenes Podium wohl besser nicht besetzen können. Neben dem bissig frechen Moderator, PC-Vorsitzenden Andreas Weller, nahmen Christiane Filius-Jehne (Grüne) und Holger Zastrow (Team Zastrow) Platz.
Filius-Jehne „kann heute frei sprechen“, stellte sie Weller vor. Denn die langjährige Fraktionschefin der Stadt-Grünen wird zur kommenden Kommunalwahl nicht mehr antreten. Anders Holger Zastrow: Mit einem großen Knall stieg der wohl prominenteste FDPler Sachsens zum Jahresanfang bei den Liberalen aus, gründete eine Sammelbewegung um seine Person – und hat sich nicht weniger vorgenommen, als 15 Prozent aus dem Stand zu holen. Das sagte er im Dresdner Presseclub.
Vorausgesetzt, seine bislang unbekannten Mitstreiter(-innen?) und er können in allen Dresdner Wahlkreisen antreten. „Die formellen Hürden, um als Neuer am demokratischen Diskurs dieser Stadt teilzunehmen, sind hoch“, klagte Zastrow. Je 22 Unterschriften aus allen 11 Wahlkreisen müssten in einem engen Zeitfenster für die von Filius-Jehne als „Personenkult“ bezeichnete Sammelbewegung abgegeben werden.
Dabei bräuchte die deutsche Parteienlandschaft gerade jetzt einen Anstoß von außen, so Zastrow, der sein Vorgehen mit den Bürgerforen der späten 1980er Jahren verglich. Die These: Aus der Parteien-Demokratie, die sich aus der Organisation heraus um die Menschen und Bürger um sie herum schert, ist eine Parteien-Bürokratie geworden, die sich vor allem um Interna, Anträge, „treue Partei-Soldaten“ dreht. Zastrow: „Die Repräsentationslücke klafft genau in der politischen Mitte.“
Bemerkenswert viel Lob hatte der Multi-Unternehmer in diesem Zuge für seine grünen Mitbewerber übrig. Zastrow habe „großen Respekt“ davor, wie sie „durchziehen – und das hochprofessionell.“ Mittlerweile trage sogar die CDU die als „Verkehrsversuche“ getarnten „Untaten“ der Grünen mit. „Da kann der Mond auf die Prager fallen, die Grünen würden ihre Linie weiterfahren.“
Steilvorlage für Filius-Jehne: „Vielen Dank fürs Kompliment Herr Zastrow, aber die bürgerliche Mitte ist mittlerweile durchaus sehr grün“, konterte sie. Die Alt-Grüne erinnerte sich, wie sie in den frühen 2000er Jahren Anträge quasi für die Tonne schrieb. Heute führt sie die größte Stadtratsfraktion an. Und hat trotz scheidenden Amtes noch immer große Visionen. „Eine moderne Stadt von heute ist keine Auto-Stadt der ‘70er mehr“, sagte sie und verwies auf Paris. Bürgermeisterin Anne Hildago geht die klimakatastrophalen Herausforderungen der Millionenstadt in einem fast einzigartig schnellen Stil an, siehe STERN September 2023.
Filius-Jehne: „Klar ist das radikal, was Frau Hildago in Paris tut. Aber die Stadt hat sich verbessert!“ Verkehrspolitisch stehe OB Hilbert (FDP) mittlerweile den Grünen näher als Zastrow. „Unterstellung!“, „kann nicht sein!“, hielt der Ex-FDPler dagegen und erinnerte, dass die viertgrößte Stadt Deutschlands vor allem eine „Einpendler-Stadt“ sei. Und natürlich durfte die schier nicht enden wollende Parkplatz-Diskussion an diesem Abend nicht fehlen.
Text und Bilder von Erik Töpfer